Ich beobachte seit geraumer Zeit eine Veränderung in meinem Gefühlsleben. Diese Veränderung irritiert mich.Sie passt nicht zu meinem Selbstbild und ich finde sie moralisch fragwürdig… ich beginne die Probleme von anderen zu relativieren. Ich setze sie zu unserem Schicksal ins Verhältnis und reagiere weniger einfühlsam, wenn ich sie als weniger existenziell einstufe.
Aber: Darf man das? Gibt es eine Skala für die Schwere von Schicksalen? Hat nicht jeder ein Recht darauf zu sagen, dass ist mein persönliches Armageddon? Habe ich ein Recht zu sagen: sorry aber das finde ich jetzt weniger dramatisch, komm bitte alleine klar? Ich wäre gerne mitfühlender, engagierter und nachsichtiger… aber manchmal denke ich mir, wenn ich dieses Schicksal so gut meistere, dann mag ich niemanden trösten, wenn er auf hohem Niveau jammert. Gleichzeitig widerspricht das meiner Vorstellung von Freundschaft. Da wägt man nicht ab.Da steht man sich einfach bei.
Und so bringt mich der Kinderwunsch zu einer neuen Entwicklungsaufgabe. Ich muss lernen auch angesichts meines Schicksals offen für andere zu bleiben.
Wie geht ihr damit um? Gelingt euch das?
Ganz schwieriges Thema. Ich neige selbst sehr dazu, die Probleme anderer mit meinen zu vergleichen. Und manchmal denke ich mir in der Tat, dass diese Menschen keine echten Probleme haben. Zum Beispiel meinte meine beste Greundin nach der Geburt ihres zweiten Kindes kürzlich, dass das alles so wahnsinnig anstrengend sei und sie sich manchmal die Frage stellt, warum sie sich unbedingt ein zweites Kind gewünscht hat. Mal abgesehen, davon, dass ich diese Aussage mir gegenüber echt unpassend fand, stellte ich ihr Problem tatsächlich in Frage.
Aber eigentlich weiß ich, dass das unfair ist. Die andere Person hat zu diesem Zeitpunkt kein anderes großes Problem. Für diese Person ist diese Situation, in der sie sich befindet, problematisch. Und das muss ich dieser Person zugestehen.
Zudem musste ich kürzlich auch lernen, dass meine Situation nicht die schlimmste ist: eine liebe Freundin hat vor einigen Wochen die Diagnose Hirntumor bekommen. Ob sie das Ende des Jahres noch erleben wird ist unklar. Für sie ist meine Situation eigentlich schon fast lächerlich – schließlich bin ich gesund und habe noch ein langes Leben vor mir. (Aber das Tolle ist, dass sie mein Problem überhaupt nicht lächerlich findet und immer mit mir fühlt, obwohl es ihr viel schlechter geht als mir). Diesmal wäre ich eigentlich die Person mit einem „lächerlichen“ Problem im Vergleich zum Problem des anderen.
Mir hilft in solchen Situationen immer ein Perspektivwechsel. Das schaffe ich allerdings nicht immer – aber ich arbeite dran. Und manchmal finde ich es auch völlig in Ordnung, die Probleme der anderen einfach tatsächlich nur lächerlich zu finden. Man muss eben auch nicht für jeden Mumpitz Verständnis aufbringen.
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Ich persönlich finde vergleichen immer… schwierig. Denn Fakt ist: Es gibt immer jemanden, den es noch schlimmer getroffen hat. Leider. Und nur weil man selbst gewisse Dinge nicht oder nicht in diesem Ausmaß nachfühlen kann heißt das nicht, dass sie den anderen nicht wirklich belasten.
Nichts desto trotz ist es menschlich, dass man vergleicht. Dass man denkt, was willst du denn eigentlich, so schlecht geht’s dir doch gar nicht. Wichtig finde ich nur, dass man die andere Person und ihre Sorgen und Probleme dennoch ernst nimmt – sofern einem die Person eben wichtig ist und nahe steht. Bei einem entfernten Bekannten wäre mir das völlig wayne, da darf man auch Abstand nehmen. Muss man ab und an sogar.
Bei engen Freunden gilt für mich: Nur weil ich es nicht nachfühlen / nachvollziehen kann heißt das nicht, dass der / die andere nicht wirklich so fühlt und es ihm / ihr nicht wirklich schlecht geht. Und wenn es einem selbst auch grade scheiße geht: Zusammen heulen wirkt manchmal Wunder 😉
LG
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Danke für deine Einschätzung. Vielleicht sollte man wirklich einfach zusammen heulen 😅… ist ja auch eine Form von Unterstützung.
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Hm, schwierig. Ich finde, das hängt von der Nähe der betreffenden Person ab – in eine enge Freundin versuche ich mich auch dann hineinzufühlen, wenn ihre Probleme mir im Vergleich zu meinen gering vorkommen. Ihr würde ich aber auch sagen, wenn es mir mit den Klagen über ewig nörgelnde Kinder zu viel wird. Bei entfernteren Personen würde ich mich weniger verpflichtet fühlen, mich hineinzuversetzen und mir eher mal denken, dass das doch Kinkerlitzchen sind im Vergleich. Das würde ich mir aber nur denken.
Insgesamt finde ich aber eigentlich, dass man lieber nicht vergleichen sollte. Erstens, weil es unglücklich bzw. auch nicht glücklicher macht. Zweitens, weil es auch noch sehr viel schlimmer geht, wenn man denn mit dem Vergleichen schon anfängt. Außerdem ist ja selbst vergleichbares Unglück nicht gleich, sondern es ist eben so schlimm, wie es sich für die betroffene Person anfühlt.
So theoretisch gesehen. Praktisch gesehen, habe ich es einer ehemaligen Freundin auch nicht verziehen, dass sie mir vorgeworfen hat, nicht für sie dagewesen zu sein, als es ihr wegen der Schwangerschaft so schlecht ging – das war direkt nach meinem 4. Negativ und davon hat sich die Freundschaft nicht erholt.
LG Tina
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Du hast Recht, vergleichen ist immer doof. Vielleicht war es auch eher ein, „ich fühle mich grad zu labil , um dir jetzt noch weiter zu helfen“… ich kann mein Gefühl noch nicht ganz zu ordnen. Und ja die Person steht mir nahe, deswegen fällt es mir auch schwer, nicht einfach Abstand zu nehmen. Wahrscheinlich muss ich da jetzt einfach durch und lernen mich zurück zu nehmen. Lg
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Ich glaube, das darf man. Es klingt jetzt vielleicht blöd, aber ich bin in Sachen Schwangerschaft und frühe Fehlgeburt mittlerweile sehr abgebrüht. Aber ich denke nicht, dass es mich zu einem schlechteren Menschen macht. Man hat mir zum Teil sogar gesagt, dass es heilsam ist, sich einen anderen Blickwinkel aufgezeigt zu bekommen.
Ich habe manchmal keine Kapazität für die Probleme anderer, das muss auch ok sein, finde ich.
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Ja, das kenne ich auch. Besonders wenn Freunde von uns über Probleme mit ihren Kindern klagen, fällt es mir manchmal schwer, wirklich mitzufühlen und nicht nur zu denken „Ich wäre froh, wenn ich diese Probleme hätte“.
Andererseits kenne ich die Situation auch umgekehrt. Eine meiner Bekannten wurde vor einiger Zeit – gerade als sie mit der Familienplannung beginnen wollte – plötzlich von ihrem Mann verlassen. Aus ihrer Perspektive erscheint meine Situation dann wahrscheinlich auch „gar nicht so schlimm“ und trotzdem erzähle ich ihr von meinem Sorgen und sie hört mir zu.
Daran versuche ich zu denken, wenn ich bei einer anderen Freundin wieder mal denke „Ist doch nicht so schlimm“. Letztlich ist es immer eine Frage der Perspektive und zu fast jedem Problem lässt sich ein anderes finden, dass noch schlimmer ist.
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Hm… das ist eine ganz gut Frage. Ich versuche gerade mich in eine Frau hineinzuversetzten, die keine Kinderwunschprobleme hat und einfach nur ’normal‘ ist, die dann auf jemandem trifft der ein Problem hat. Ich bin mir schon sicher das einige Schicksale einen mehr mit nehmen als andere. Aber man darf doch durchaus auch mal denken kann, dass das doch nicht so schlimm ist. Auch ohne es mit was anderem zu vergleichen. Versteht man was ich sagen will?
Ich denke das man Probleme anderer nicht mit dem Kinderwunsch vergleichen kann und auch nicht sollte. Allerdings ertappe ich mich auch ab und zu dabei, wenn jemand über eine Lapallie stöhnt und jammert wie schlecht es einem doch geht, wie ich da denke wenn er nur wüsste was ich alles durch machen muss… Das regt mich dann schon auf. Aber trotz meiner ganz eigenen Geschichte, kann ich immer noch mit anderen mit leiden. Vielleicht sogar noch ein bisschen mehr als sonst. Weil ich einen Berg mit mir herum trage von dem keiner eine Ahnung hat und das mit vielen anderen Menschen auch so ist. Die verbergen ihre eigentlichen Probleme und wenn sie dann damit raus rücken und bemitleidet werden wollen dann versuche ich zu helfen wo ich kann, weil ich weiß wie scheiße das Leben manchmal sein kann…
(ist ein bisschen wirr geworden ich hoffe du verstehst was ich meine)
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Ja ich glaube, ich weiß worauf du hinaus willst. Und es stimmt, dass das Leben auf ganz verschiedene Arten Scheiße sein kann. Ich hatte und habe immernoch Angst an diesem Kinderwunsch zu verbittern. Deswegen bin ich mir manchmal unsicher bei meinen Urteilen… aber natürlich gibt es auch für Frauen ohne Kiwu Momente, in denen sie innerlich die Augen rollen.
Danke für diesen Anstoß! Lg
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