Wir alle haben – spätestens wenn wir erwachsen sind- einen bestimmten Lebensrhythmus. Bei den meisten Menschen richtet sich dieser nach ihrem Job, jeder weiß wann die Hochphasen im eigenen Berufsfeld sind, wann der Jahresabschluss ruft und richtet sich – bewusst oder unbewusst- danach aus. Oft geht dieser Rhythmus auch mit dem Kalender einher. Nun, da ich ja nicht in der „echten Welt“ arbeite, sondern im Kunstraum Schule ist mein Rhythmus von vornherein anders. Jedes Jahr um den Jahreswechsel bin ich wieder erstaunt , dass alle so gehetzt sind bzw. „dieses neue Jahr bejubeln“ (arbeite ich selbst doch erst seit 3 Monaten). Mein neues Jahr beginnt stets Mitte September und ob es gut oder schlecht wird, kann ich nach etwa 2-3 Wochen sagen, dann kenne ich alle Klassen und viiiiiiel wichtiger: meinen Stundenplan! 😉 Ich mag meinen Rhythmus sehr. Ich mag, dass ich für ein Jahr mehr oder minder weiß, was auf mich zu kommt, dass ich so gut planen kann, weil jede Woche ähnlich terminiert ist. Ich weiß, wann Korrektur-Hochphasen sind und ab wann ich durchatmen kann. Ja, ich habe mich bewusst für so ein Leben entschieden.
Und dann gibt es seit 3 jahren noch diesem anderen Rhythmus nach dem ich lebe leben muss, in den mich das Schicksal zwingt.Den Kinderwunsch-Rhythmus. Anfangs nimmt man ihn gar nicht so wahr, er läuft nebenher mit. Mittlerweile habe ich einen inneren Terminplan und wenn ich meinen Timer aufschlage und Temine in den Monatsplan eintrage, legt sich dieser zweite Terminplan darüber. 1. Zyklushälfte – Eisprung – 2. Zyklushälfte. Und je länger man den Kinderwunsch-Rhythmus lebt, desto öfter richtet man Termine nach diesem unsichtbaren Plan im Kopf aus. Mittlerweile ist das so schlimm, dass ich teilweise sogar Klausuren so lege, dass sie dem KiWu nicht im Weg stehen. Nebenbei: Mir ist bewusst, dass es ein großes Glück ist, dass ich meine Termine so frei einteilen kann! Dennoch nervt es mich langsam. Immer öfter habe ich das Gefühl fremdbestimmt zu sein. Und zerissen zu sein, denn dieser 15-tägige Wechsel fordert enorm viel Kraft, auch wenn man alle Pahsen bereits zig mal durchlebt hat.
Der Rhythmus beginnt für mich mit einem Tiefschlag – ein negativer Test. Die Trauer setzt direkt ein, alles erscheint sinnlos, qualvoll und es schmerzt so unglaublich. (erstaunlich, dass man diese Schmerzen innerhalb der nächsten 30 Tage wieder verdrängt.) Routiniert vollzieht sich der Wechsel. Alle Pärparate für die 2. ZH werden zurück in den Schrank verbannt. Umdenken – 1.ZH: Follikelreifung fördern, Schleimhaut optimieren, Termine machen. (Stresslevel: gering) Griff zum Timer: Was steht für die nächsten 15 Tage an? Wann wird es Ernst? Anruf beim FA. Hoffen und Bangen, dass man einen (jobverträglichen) Termin zur Kontrolle bekommt. (Stresslevel: leicht erhöht – diese Terminierungsproblematik verschärft den KiWu auf besondere Art) Weiterdenken – dieser Monat: Ende Zyklusmonitoring – Beginn IUI… Timer befragt, Schei*E!!! der 14. ZT ist ein Freitag, d.h. wenn mein Körper nicht vorbildlichst funktioniert, kann es sein, dass ich mir die IUI diesen Moant in die Haare schmieren kann, Samstag arbeitet der FA nicht, bis Montag wird der ES nicht warten! (Stresslevel: eigentlich jetzt schon nicht mehr auszuhalten.) – Anmerkung: Bis hierhin hat die Blutung noch nicht mal eingesetzt. (Ja ich rufe manchmal beim FA an, bevor ich blute, da ich eh zwischen dem 10-12 ZT hingehe.) Weniger geübte Kinderwünschlerinnen oder unverbesserliche Optimistinnen mögen hier nochmal in ein Hoffnungshoch zurückfallen, ich hingegen weiß – ein Strich ist ein Strich und wenn bis ES+14 kein Zweiter dazu gekommen ist, dann ist das Ding gelaufen. Einsetzen der Blutung – die Trauer flammt kurz nochmals auf, alles wird noch realer, gleichzeitig versuche ich alle Kräft zu mobilisieren, neue Hoffnung zu schöpfen, um die Aufgaben der nächsten zwei Wochen bewältigen zu können. Die erste Woche verläuft in einem Wechselbad aus Trauer und Hoffnung, kurz vor dem FA-Termin kommt Panik hinzu: Wird es wieder einen Follikel geben? Passt die Schleimhaut? Findet er noch irgendetwas Neues? (Stresslevel: hoch) Im Falle eines positiven US-Ergebnisses wechselt die komplette Stimmung zu voller Hoffnung und reinem Optimismus – wenn, ja wenn, gleich klar ist, dass der fragliche Zeitraum auch genutzt werden kann bzw. die IUI statt findet. Ansonsten läuft ein Automatismus, der einem jede Vernunft austreibt, sodass man ALLES, aber auch ALLES in Betracht zieht, nur um dieses Ei nicht ungenutzt springen zu lassen. (Es gibt Frauen/Paare, die fahren hunderte Kilometer oder treffen sich an den unmöglichsten Orten für ein paar Millionen Spermien zur rechten Zeit.)
Der Eisprung läutet die zweite Zyklushälfte ein. Hervorholen aller Einnistungshelfer…Nun müssen Termine noch besser geplant werden, um Stress zu vermeiden, die Einnistung nicht zu gefähren…. „Ob ich dir in zwei Monaten beim Umzug helfen kann/mit dir in die Sauna gehen will/ Kartfahren gehen kann?… Augenblick, äh nein äh sorry wird nix! (2.ZH, zu gefährlich)“ Ich bin ziemlich reflektiert und deshalb in dieser Phase oft von mir selbst genervt, besonders zu Beginn solange mein Gehirn noch halbwegs funktioniert. Das ist das besondere an der 2. Phase, je weiter sie fortschreitet, desto debiler werde ich. Dinge, für die ich mich wenige Tage später selbst verachten werde (z.B. googeln von Symptomen), erscheinen mir absolut notwenig! Die Hoffnung steigt immer weiter und offenbart sich bei mir oft in Form von Heulkrämpfen – wahlweise vorm Spiegel mit rausgestrecktem Bauch oder im Auto bei der Überlegung, wie wir es allen sagen würden. Und ja, ich überlege mir jeden Monat neue Szenarien dafür! Und nein, eigentlich will ich das nicht, aber die Hormone lassen mir keine Wahl. Kommen zu dem Hormonen dann noch zweifelhafte Syptome – und das tun sie immer, denn ALLES kann laut Dr. Google ein Anzeichen sein- dann gibt es kein Halten mehr. Eine obsessive Selbstbeobachtung läuft. Doch nicht nur das: spätestens eine Woche vorm NMT starte ich eine Art Autosuggestion, dass diesmal WIRKLICH alles ganz anders ist und es BESTIMMT aus Gründen (die absolut schwachsinnig sind!!!!) geklappt hat. In den letzten Tagen habe ich drei Klapperstörche gesehen und bin mit den Schwangerschaftsnews von Bekannten SUUUUUPER umgegangen und deswegen war ich mir sicher, die Schicksalsprobe nun bestanden zu haben und positiv zu testen. Einen Tag nach dem Test bin ich mir sicher, dass mich jeder vernünftige Psychologe in der 2. Zyklushälfte einweisen würde, wenn ich nur einen Bruchteil all dieser „logischen Erklärungen“ öffentlich machen würde. Gleichzeitg kommt in klaren Momenten der 2. ZH eine Art Scham hoch und Angst davor, bei einem negativen Test wieder als Idiotin dazustehen, die ihren Körper null kennt und sich da total reinsteigert. (Stresslevel: hoch, höher, am höchsten) Kurz vorm Test kommt es zum absoluten Gefühlschaos – die Grenzdebilität nervt mich selbst an, ich will auch testen, um endlich wieder klar denken zu können. Gleichzeitig erinnere ich mich plötzlich wieder an den Schmerz, der gleich eintreten wird – und deshalb ist das Eintauchen des Tests, so als würde man sich jeden Monat wieder entschließen mit voller Wucht gegen eine Wand zu rennen. Man weiß, es ist bescheuert und es wird unheimlich weh tun – während des Anlaufs/Testens hofft man, dass es diesmal anders ausgehen wird….BOOOM. Kollision. K.O. Wartezeit. Schmerz. Willkommen in der 1. Hälfte.
Wenn mir jetzt jemand erzählt, dass er versucht ein Baby zu bekommen, löst das bei mir die gleichen Gefühle aus, als wenn er sagen würde: „Ab heute wollen wir uns einmal im Monat mit glühenden Eisenstangen malträtieren.“ Ich möchte dringend davon abraten dies zu tun und während mein Gehirn einen Satz formuliert, fällt mir ein, dass 80% der Paare im ersten Jahr schwanger werden. Einfach. So…. die Eisenstangen bekommt man wohl erst später. Und dann fällt mir ein, dass ich sie nach dem 1. ÜZ bekommen habe, weil ich so blöd war (seeehr lange 2. ZH!) gleich zum Arzt zu rennen. „Ja, Frau Einstrich, das wird wohl etwas schwerer bei Ihnen…. Nehmen Sie doch mal diese Stange mit und ab dem 2. Jahr können Sie sie dann langsam erwärmen.“
This ist the rhythm of my life… oh yeah
PS: Liebe Leserinnen bitte seht davon ab, mich um meinen schönen und regelmäßigen Rhythmus/Zyklus zu beneiden – der ist nur schön, wenn man damit auch schwanger wird, ansonsten ist er die Glut für die Eisenstange, Danke!